Pest oder Cholera? Katastrophen in der Geschichte Nürnbergs

| Beitrag vom 30. April 2020, von Dr. Ruth Papadopoulos

Ein Ort, um Geschichte hautnah zu erleben, ist der Nürnberger Egidienberg: Dort zeugt die barocke Kirchenfassade vom Großbrand des alten Schottenklosters, die in eine Wand eingemauerte Kanonenkugel nebst Inschrift erinnert an den Zweiten Markgrafenkrieg und die Einschusslöcher am Kaiser Wilhelm-Denkmal stammen aus dem Häuserkampf in den letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs vor 75 Jahren.

Neben Brand, Kriegen und auch Hochwasser waren es vor allem Epidemien, die der Stadt im Laufe der Jahrhunderte zusetzten. Allen voran die Große Pest, die seit der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts die Stadt immer wieder heimsuchte. Auch hierfür findet sich ein Zeugnis am Egidienberg: Ein kläglicher Ruinenrest neben dem Pellerhaus zeugt noch von dem stattlichen „Peststadel“, der sich früher hier befand. Das mächtige Gebäude, 1481 als  Kornspeicher gebaut, diente zum Unterstellen der Karren, auf denen die Pesttoten hinaus auf den Friedhof transportiert wurden.

Die Einwohner Nürnbergs hatten großen Epidemien an medizinischen Mitteln nichts entgegenzusetzen: Man wusste weder, was die Krankheiten verursachte, noch hatte man Medikamente, um sie zu behandeln. Bis ins späte 19. Jahrhundert waren die Behandlungsmöglichkeiten auf diätetische Maßnahmen, Urinbeschau oder Aderlass beschränkt. Wer es sich leisten konnte, floh aus der Stadt.

Umso wichtiger waren die Maßnahmen, die der Rat ergriff, um die Seuchen einzudämmen. Seit 1518 war es nicht mehr erlaubt, Tote innerhalb der Stadtmauern zu bestatten: Neben dem Johannisfriedhof, bereits im späten 14. Jahrhundert zum Pestfriedhof erweitert, entstand nun der Rochusfriedhof für die Toten der Lorenzer Stadtseite. Am Pegnitzufer außerhalb der Mauern stiftete die Patrizierfamilie Topler das Sebastiansspital als erstes Pesthaus in Deutschland, fertiggestellt 1528.  All dies konnte nicht verhindern, dass es 1633/34 zur schlimmsten Epidemie der Nürnberger Geschichte kam: Mitten im 30jährigen Krieg, als sich Einheimische, Soldaten und Flüchtlinge innerhalb der engen Mauern drängten, verstarb die Hälfte der Einwohner an der Pest, die Rede ist von 20.000 Toten. Von diesem Bevölkerungsverlust hat sich die Stadt bis zur Industrialisierung nicht mehr erholt.

Eine Seuche, die im 19. Jahrhundert erheblichen Einfluss auf die Stadtentwicklung hatte, war die Cholera. Da das Nürnberger Trinkwasser hauptsächlich aus dem Grundwasser bezogen wurde und die Abwasserentsorgung mittels Sickergruben unzureichend war, kam es immer wieder zu kleineren Ausbrüchen. 1854 war die allgemeine Mobilität der Bevölkerung bereits so groß, dass sich die Cholera sehr schnell verbreiten konnte. Nach einem Ausbruch in München erreichte die Krankheit wenig später Nürnberg, unter anderen durch den Industriellen Johann Wilhelm Spaeth, der einer der ersten von 300 Choleratoten (bei 600 Erkrankten) war, damit war man glimpflich davongekommen. Auch hier ergriff die Stadt schnell Maßnahmen, da man eine Einschränkung der Aktivitäten in Verkehr und Handel fürchtete. Eher unwirksam war das Verbot von Jahrmärkten (wegen der Menschenansammlungen) und längeren abendlichen Biergartenbesuchen (wegen der Unterkühlung). Auf lange Frist waren dagegen kommunale Maßnahmen zur besseren Wasserversorgung und -entsorgung von entscheidender Bedeutung.

Mit dem Anwachsen zur Industriestadt hatte Nürnberg weitere Epidemien zu überstehen. Eine der schlimmsten traf die Stadt am Ende des Ersten Weltkriegs, als die Bevölkerung ohnehin mangelhaft ernährt und medizinisch schlecht versorgt war. Ein erster Ausbruch der sogenannten "Spanischen Grippe“ im Sommer 1918 verlief relativ milde. Im Herbst des Jahres kehrte die Krankheit jedoch zurück. Nun kam das öffentliche Leben zum Erliegen, die Schulen wurden geschlossen. Vom 12.-18. Oktober gab es rund 3.000 Neuinfektionen, Tag für Tag wurden hunderte von Influenzafällen gemeldet. Das große, erst 1897 eingeweihte Krankenhaus hatte Hochbetrieb. Besonders erschreckend war, dass gerade jüngere Menschen zwischen 20 und 40 Jahren an der Krankheit starben. Insgesamt waren etwa 20.000 Menschen erkrankt, die Zahl der Toten lag bei 1.400. Von den 94 Pflegern im städtischen Krankenhaus starben fünf Krankenschwestern und eine Pflegeschülerin, zudem erlagen noch fünf Hausangestellte der Grippe. Weltweit forderte die Grippepandemie von 1918/19 mehr Tote als der gesamten Erste Weltkrieg.

Medizinischer Fortschritt und steigender Wohlstand haben die Wahrscheinlichkeit von Epidemien bzw. – bei weltweitem Auftreten – Pandemien zwar eindämmen, aber nicht gänzlich verhindern können.  Dass im Winter 2019/20 ein neuartiges Coronavirus globale Verbreitung finden würde, hatte kaum jemand auf dem Schirm. Auch die Stadt Nürnberg ist davon betroffen – unmittelbar mit Erkrankten und Toten sowie in Bayern und Deutschland durch einen nie gekannten Stillstand des öffentlichen Lebens, der Reiseaktivitäten und der persönlichen Freiheiten, aber auch mittelbar durch die Störung von Wirtschaftsaktivitäten und das komplette Einfrieren des Tourismus. Wir erleben gerade die größte Krise seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Vielleicht ist es gut, dabei die Geschichte nicht aus den Augen zu verlieren, um das heutige Geschehen besser bewerten zu können.

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